Lebensqualität in der Arealentwicklung.
Als Ziel wohl unbestritten. Aber: Was genau bedeutet hohe Lebensqualität? Wie kann sie in die Planung und Bewirtschaftung von Arealen Eingang finden? Bei der Entwicklung des Areals Wolf in Basel werden erstmals Erkenntnisse aus einer wissenschaftlichen Pilotstudie der Universität Basel und novatlantis umgesetzt. Im Fokus stehen dabei die sogenannten «Geschützten Bedürfnisse».
Die explorative Pilotstudie wurde im Auftrag der Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt realisiert. Ein erster Ausgangspunkt bildete die Beobachtung, dass Lebensqualität als Wort zwar häufig als Ziel in der Schweizer Stadt- und Raumplanung, in Smart City Strategien, Arealentwicklungen etc. genannt wird, aber eine klare und gemeinsame Vorstellung, was damit gemeint ist, zumeist fehlt. Dazu kam als zweiter Ausgangspunkt ein vielversprechendes Konzept von Lebensqualität, konkret genug, um als Grundlage zu dienen, und offen genug, um künftige Entwicklungen zu bedenken: Das Konzept der «Geschützten Bedürfnisse».
Geschützte Bedürfnisse
Dieses von der Forschungsgruppe Inter-/Transdisziplinarität der Universität Basel entwickelte Konzept fokussiert auf eine umfassende Förderung von Lebensqualität. Übertragen auf ein Areal geht es einen Schritt weiter als der Ansatz, bei der Planung lediglich Bedingungen zu vermeiden, die Lebensqualität von vornherein verunmöglichen oder stark beeinträchtigen (z.B. Gefahren, Hitze, Lärm). Und es geht auch über den Ansatz hinaus, lediglich darauf hinzuwirken, dass grundlegende Infrastrukturen und Versorgungsmöglichkeiten vorhanden sein werden.
Was sind Geschützte Bedürfnisse?
Das Konzept besagt, dass es neun Bedürfnisse gibt, deren Befriedigung in einer Gesellschaft ermöglicht werden kann – und muss. Das beinhaltet eine individuelle und eine kollektive Verpflichtung: Die Rahmenbedingungen, damit diese Bedürfnisse befriedigt werden können, müssen geschaffen und erhalten werden. Die neun Geschützten Bedürfnissen sind in drei Gruppen unterteilt: Materielles (1-3), Person (4-6) und Gemeinschaft (7-9).
Lebensqualität in einer Stadt oder in einem Areal realisieren, heisst nicht, einen bestimmten Lebensstandard gewährleisten oder subjektive Wünsche erfüllen, sondern heisst, die Befriedigung von Bedürfnissen ermöglichen, die allen Menschen gemeinsam sind. Dies eine weitere Kernbotschaft des Konzepts. Dabei wird unterschieden zwischen Bedürfnissen und «satisfier» (Mittel, mit denen Bedürfnisse befriedigt werden): «Satisfier» sind das, was Menschen tun, sowie Produkte, Dienstleistungen und Infrastrukturen, die sie dabei beanspruchen.
Während Bedürfnisse universal und stabil sind, sind «satisfier» individuell, kulturabhängig und über die Zeit hinweg wandelbar. «Satisfier» sind in Teilen ersetzbar und deshalb verhandelbar, auch wenn es durchaus solche gibt, die unverzichtbar sind, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen (z.B. Gesundheitsversorgung). Bedürfnisse hingegen sind nicht verhandelbar. Besonders interessant sind «satisfier», die erlauben, mehrere Bedürfnisse gleichzeitig zu befriedigen («synergistische satisfier»).
Areal als «synergistischer satisfier»
Ein Areal als solches ist ein «synergistischer satisfier» – es ermöglicht verschiedenen Gruppen von Personen in Gegenwart und Zukunft, mehrere Bedürfnisse zu befriedigen. Gleichzeitig stellt ein Areal «satisfier» zur Verfügung, d.h. Produkte, Dienstleistungen und Infrastrukturen. Bei der Planung werden unweigerlich Entscheidungen getroffen, welche «satisfier» zur Verfügung gestellt werden. Sich dabei an den Geschützten Bedürfnissen zu orientieren, erlaubt es, Lebensqualität umfassend in den Blick zu nehmen, Entscheidungen über «satisfier» explizit zu treffen und diese rational zu begründen.
Gemeinsame Basis
Das Konzept der Geschützten Bedürfnisse stellt den verschiedenen, an der Arealentwicklung beteiligten Akteuren eine gemeinsame Basis und Sprache zur Verfügung, auf die sie sich beziehen können, wenn sie über Lebensqualität im Areal sprechen. Laut Studie ist es ein Konzept, das gesamtheitlich und inhaltsreich und gleichzeitig dynamisch ist. Es hilft dabei, sich von subjektiven Wünschen zu lösen sowie mehrere Lebensphasen und Lebenssituationen gleichermassen zu bedenken – und unterstützt eine flexible Planung. Das Konzept eignet sich deshalb für die Operationalisierung von Lebensqualität in der Planung und im Betrieb von Arealen. Für das Konzept spricht auch, dass es nicht nur theoretisch fundiert ist, sondern dass dessen Relevanz und Anschlussfähigkeit empirisch nachgewiesen ist.
Anwendung bei der Arealentwicklung Wolf
Zum ersten Mal in der Schweiz wird nun das Konzept der Geschützten Bedürfnisse bei der Planung und Realisierung eines Areals – dem Güterbahnhofareal «Wolf» – eingesetzt. Dies wird von Rico Defila und Antonietta Di Giulio (Universität Basel) sowie von Regina Flury von Arx (novatlantis) wissenschaftlich begleitet. Den Auftakt bilden die Architekturwettbewerbe für zwei Wohngebäude mit rund 200 Wohnungen, deren Programm seit Mitte August 2024 vorliegt.
Quelle:
Defila R., Di Giulio A., Flury R., Roschewitz A. (2022): Lebensqualität – Operationalisierung für die Planung und den Betrieb von Arealen: Schlussbericht zur explorativen Pilotstudie Basel. Zürich, Basel: novatlantis, Universität Basel. novatlantis.ch/pilotstudie_basel
Projektteam:
Rico Defila und Antonietta Di Giulio, Forschungsgruppe Inter-/Transdisziplinarität, Universität Basel
Regina Flury von Arx, novatlantis gmbh | gemeinnützige gesellschaft für nachhaltigkeit und wissenstransfer
[email protected] | mgu.unibas.ch/de/idtd | novatlantis.ch